Erfolgreiche OZG-Umsetzung mit den Kommunen

In meiner Masterarbeit an der Fakultät für Sozialwissenschaft der Ruhr-Universität Bochum, die von Prof. Dr. Bogumil sowie Prof. Dr. Heinze betreut wurde, habe ich mich mit dem Onlinezugangsgesetz beschäftigt und eine empirische Untersuchung am Beispiel der Städte Dortmund und Schwerte durchgeführt.

Hier dokumentiere ich das Fazit mitsamt der daraus entstandenen Handlungsempfehlungen für alle Interessierten. Die gesamte Arbeit kann bei mir angefragt werden.

Fazit

Das Forschungsinteresse der vorliegenden Masterarbeit galt einer explorativen Untersuchung zur Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung in Deutschland vor dem Hintergrund des Gesetzes zur Verbesserung des Onlinezugangs zu Verwaltungsleistungen, das die Digitalisierung aller Verwaltungsleistungen bis zum Ende des Jahres 2022 vorsieht. Der Fokus dieser Untersuchung galt dabei den kleinsten räumlich-administrativen Verwaltungseinheiten, den rd. 11.000 kommunalen Gebietskörperschaften in Deutschland.

Mittels diverser Experteninterviews haben sich verschiedene Untersuchungsergebnisse herauskristallisiert, die insb. bzgl. der Frage nach dem aktuellen Stand der Umsetzung des OZG und damit der Digitalisierung der befragten Kommunen sowie der Frage nach den weiteren Bedarfen aus Sicht der befragten kommunalen Akteure Aufschluss bieten.

So ist abschließend festzustellen, dass dem OZG vonseiten der befragten Akteure einhellig eine grundlegende Eigenschaft zugesprochen wird: Es habe entscheidend dazu beigetragen, die Debatte bzgl. der Digitalisierung der Verwaltungen in Deutschland stark zu dynamisieren, weil es alle Verwaltungen vor dieselbe Herausforderung stellt und die Bewältigung dieser mit einem klaren Zieldatum versieht. Kritisch muss demgegenüber gestellt werden, dass die Berücksichtigung kommunaler Realitäten ebenso einhellig als deutlich unzureichend angesehen wird. Letzteres soll im Folgenden anhand der vorliegenden Ergebnisse im Detail beleuchtet werden. In Erweiterung des Fazits sollen anschließend anhand der zuvor dargestellten Kritikpunkte Empfehlungen vorgeschlagen werden, deren Umsetzung zu einer erfolgreichen Verwaltungsdigitalisierung beitragen könnte.

Wenn nach mehreren Jahren nach Inkrafttreten eines Gesetzes und grob zur Halbzeit des Umsetzungszeitraums des OZG weiterhin Debatten darüber geführt werden, für welche Verwaltungseinheiten dieses überhaupt gilt und für welche nicht und diese Klärung immer noch nicht endgültig herbeigeführt werden konnte, ist davon auszugehen, dass eine solche andauernde Debatte den Umsetzungsprozess erschwert und verlangsamt, da die hierin investierte Energie einerseits nicht in die konkrete Umsetzung fließt und sich andererseits Unsicherheiten für etwa kommunale Akteure ergeben können. Fehlende gesetzliche Konkretisierungen vonseiten der Bundesländer tragen hierzu ihren Teil bei. Der Eindruck, der von den befragten Akteuren kommuniziert wurde und demnach lautet, dass Bund und Länder den Kommunen neue Aufgaben zuordnen, ohne in entsprechender Weise finanzielle Mittel zur Verfügung zu stellen, ist ein fatales Signal für die praktische Umsetzung des OZG, aber auch für Motivation und Bereitschaft kommunaler Akteure.

Akzeptanz und Motivation sind aber nicht nur abstrakte Begriffe, sondern vielmehr notwendige Voraussetzungen für das Gelingen eines derartigen Veränderungsprozesses, wie es die umfassende Digitalisierung der kommunalen Verwaltungen darstellt. Hier zeitigte sich, dass die Bereitschaft zu Digitalisierungsmaßnahmen bei Akteuren kommunaler Verwaltungen durchaus vorhanden ist und keinesfalls von einer grundsätzlichen Ablehnung gesprochen werden kann, obwohl mangelnde Informationen, Transparenz und Kommunikation zum Wachstum von Skepsis beitragen können und grundsätzliche Debatten, bspw. zum Abbau von Arbeitsplätzen durch Digitalisierung, weiterhin geführt werden. Ein nach den vorliegenden Ergebnissen gänzlich fehlendes Budget für Veränderungsmanagement und -kommunikation ist vor diesem Hintergrund kritisch zu bewerten. In diesem Zusammenhang hat sich jedoch auch gezeigt, dass die Motivation der kommunalen Akteure, die das OZG als Chance für die Intensivierung der eigenen Verwaltungsdigitalisierung und als mitgestaltbar interpretieren, höher ist, als wenn sich kommunale Verwaltungen nur dem Gesetz ausgeliefert sehen. Die Tatsache, dass die Kommunen im IT-Planungsrat sowohl quantitativ als auch qualitativ, also ohne Stimmrecht, unterdurchschnittlich vertreten sind, kann auch dazu beitragen, sich nicht mitgenommen zu fühlen oder tatsächlich nicht ausreichend mitgenommen zu werden, wobei auch die Kooperationstiefe der verschiedenen kommunalen Spitzenverbände zukünftig untersucht werden sollte.

Insgesamt sehen sich die befragten kommunalen Vertreter inmitten eines von multiplen, verbesserungsbedürftigen Kriterien ausgestatteten Feldes, wobei alle diese Kriterien einen Einfluss auf eine erfolgreiche Verwaltungsdigitalisierung nehmen. Neben den bislang angesprochenen Punkten ist etwa weiterhin zu nennen, dass die mangelnde Berücksichtigung der unterschiedlichen Größen von Kommunen seitens des OZG problematisch erscheint. So ist es zwar korrekt, dass die Digitalisierung eine übergreifende Aufgabe ist, um aber das gleiche Ziel zu erreichen, sollten ungleiche Kommunen auch ungleich behandelt werden, sodass bspw. die unterschiedliche Ressourcenausstattung berücksichtigt wird. Eine Großstadt mit über einer halben Million Einwohner hat demnach mehr Ressourcen zur Verfügung, als eine kleine Stadt, deren Handlungsspielraum womöglich zusätzlich durch Maßnahmen der Haushaltssicherung eingeschränkt ist.

So ist unstrittig, dass auch die Digitalisierung der kommunalen Verwaltungen erhebliche finanzielle Mittel erfordert und erfordern wird – für Hard- und Software, Technik, Personal, Schulungen und weiteres mehr. Dabei gehen die befragten Akteure davon aus, dass sich die in diesem Zusammenhang getätigten Investitionen kurzfristig nicht amortisieren werden, mittel- bis langfristig zu eher geringen Einsparungen führen können, wobei darin zukünftige Automatisierungen von Prozessen noch nicht eingerechnet sind. Zu kritisieren ist, dass das OZG mit seinem Inkrafttreten nicht mit entsprechenden Fördermitteln seitens des Bundes und des Landes flankiert wurde, um die Kommunen bei dieser Aufgabe zu unterstützen.

Es ist diesbezüglich nicht davon auszugehen, dass die Digitalisierung der kommunalen Verwaltungen gleichermaßen geschehen kann, wenn man sich die sehr unterschiedlich vorhandenen Eigenmittel der deutschen Kommunen vor Augen führt. Im schlimmsten Fall kann eine anpassungslose Fortsetzung dieser Entwicklung bedeuten, dass die Ungleichheit zwischen Kommunen in Deutschland wegen der Disparitäten in ihren Voraussetzungen zur digitalen Stadt- und Verwaltungsentwicklung weiter wächst und noch verschärft wird, sodass Kommunen, die aufgrund ihrer guten Ressourcenlage entsprechende Mittel in die Digitalisierung investieren können, etwa Unternehmen, Forschungseinrichtungen und Fachkräfte aus dem IT-Bereich ansiedeln können, während die Kommunen, die sich gleichwertige Investitionen aus Eigenmitteln nicht leisten können, weiter abgehängt werden. Grundsätzlich in der Anlage des OZG erscheint außerdem fragwürdig, ob es nach den vorliegenden Erkenntnissen praktisch sinnvoll gewesen ist, dass der digitale Zugang zu Verwaltungsleistungen qua Gesetz von den zwingend notwendigen verwaltungsinternen Fachverfahrens- und Prozessveränderungen eindeutig abgekoppelt wurde, statt beides zusammenzudenken und ganzheitlich zusammen zu gestalten.

Von zentraler Bedeutung für eine erfolgreiche Umsetzung des OZG in den Städten und Gemeinden sind auch die Mitarbeiter der kommunalen Verwaltungen. Im Begriffsverständnis der Nutzerorientierung fehlen sie; und auch, wenn einige kommunale Akteure in die Digitalisierungslabore des BMI entsendet werden konnten, findet eine ausreichende Einbindung des kommunalen Personals bislang nicht statt.

Bezogen auf die Personalsituation werden der Digitalisierung von kommunalen Akteuren drei Aspekte zugeordnet. Neben der eher abstrakten Sorge vor damit in Zusammenhang stehenden Arbeitsplatzverlusten ist die Hoffnung vorhanden, dass die digitale Entwicklung dazu beitragen kann, die Fachkräfteverluste, die durch den demografischen Wandel entstehen, aufzufangen. Zudem wird die verstärkte Notwendigkeit zu regelmäßigen Qualifizierungen und Schulungen gesehen, aber auch in diesem Punkt unterscheiden sich die Erwartungen des kommunalen Personals, je nachdem, wie hoch die finanziellen Mittel ausfallen, die in der eigenen Kommune und vor der eigenen Haushaltslage für Fortbildungen zur Verfügung gestellt werden. Zusätzlich stellt sich die Frage, wie es kommunalen Verwaltungen gelingen kann, ihre Attraktivität als Arbeitgeber für IT-Fachkräfte zu erhöhen.

Ein Flickenteppich von unterschiedlichen Softwarelösungen zwischen Kommunen hemmt die Chancen zur Intensivierung interkommunaler Kooperationen, obwohl die Digitalisierung diese Chance exemplarisch bietet. Festzustellen ist auch, dass der Wunsch nach Austausch vor dem Hintergrund der Anforderungen der Digitalisierung eher wächst. Hier sehen sich die kommunalen Akteure zum Teil selbst als Schicksalsgemeinschaft, wobei die Treiber der Digitalisierung in den Rathäusern an unterschiedlichen Stellen sitzen und sich ihre Positionen von Kommune zu Kommune unterscheiden. Ein Zusammenspiel zwischen Verwaltungsspitze und Personal steigert diesbezüglich die Erfolgswahrscheinlichkeit. Die Digitalisierungsstrategie des Landes NRW bzgl. der fünf digitalen Modellregionen konnte die befragten kommunalen Akteure bislang eher nicht überzeugen. Hier konnten sie bislang keinen praktischen Mehrwert für ihre eigene Arbeit vor Ort erkennen und kritisieren die Förderung einiger weniger Kommunen in NRW, bei der die meisten bislang leer ausgehen, wobei zukünftig untersucht werden sollte, ob der Kritikpunkt, die ausgewählten Modellkommunen entwickelten lediglich für ihre eigenen Verwaltungen passende Lösungen, tatsächlich zutrifft. Zudem fordern die befragten kommunalen Akteure mehr Standardisierungen und Vorgaben ein, während die Akteure auf landes- und bundespolitischer Ebene eher auf eine Kultur von unverbindlichen Vorschlägen setzen.

Insgesamt ist ebenfalls auffällig, dass die befragten kommunalen Akteure das Thema der Verwaltungsdigitalisierung nicht eng im juristischen Sinne bewerten, sondern sich mit dieser Anforderung grundsätzliche, zukunftsorientierte Fragen strategischer Natur stellen. So sehr der Wunsch des kommunalen Personals bzgl. eigener Entlastungsgewinne bei der alltäglichen Arbeit durch die Digitalisierung besteht, wurde ebenso die grundlegende Frage nach der zukünftigen Rolle und Ausrichtung von Kommunen vor dem Hintergrund der sich auch und gerade durch die Digitalisierung ergebenden Veränderungen gestellt. Dies macht deutlich, wie wichtig es wäre, solche strategischen Debatten offen zu führen und damit auch Orientierung zu bieten. Deutlich wurde auch, dass anerkannt wird, dass die Digitalisierung erfordert, dass die Kommunen weniger konfrontativ und zueinander abgegrenzt denken und arbeiten, sondern ein Wandel zu einer Kultur der kooperativen Lösungssuche und zu einer agileren, flexibleren sowie unbürokratischeren Form von Verwaltungstätigkeit erfolgen müsse.

Das OZG erscheint auf der Grundlage der in dieser Untersuchung gewonnenen Erkenntnisse vorläufig als wirkungsvolles Instrument zur Steigerung der notwendigen Bemühungen um die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltungen in Deutschland, obwohl die gezeitigten Ergebnisse durch weitere qualitative und quantitative Untersuchungen erweitert, vertieft und auf ein solideres Fundament gestellt werden sollten, als es die in dieser Arbeit vorhandene Datengrundlage zulässt. Lohnend scheint etwa die Beschäftigung mit folgenden übergeordneten Fragestellungen: Wie verändert sich die Rolle von Kommunen und ihren Verwaltungen vor dem Hintergrund der Digitalisierung mittel- bis langfristig weiter? Welche Auswirkungen haben die durch die Verwaltungsdigitalisierung einhergehenden Veränderungsprozesse auf die Organisationen und die Organisationsangehörigen? Welche Strategien und Gegenstrategien sind hierbei denkbar? Die zentrale These, die sich aus den bislang gewonnenen Erkenntnissen entwickeln lässt, lautet, dass das OZG und die Digitalisierung der deutschen Verwaltung dann erfolgreich sein wird, wenn die Digitalisierung der rd. 11.000 deutschen Kommunen gelingt. Dafür jedoch scheinen noch, wie dargestellt, vielerlei kleinere, allerdings auch manche größeren Anpassungen notwendig.

Die gute Nachricht lautet: Für diese Veränderungen bleiben noch fast 1.000 Tage Zeit. Sie sollten gut genutzt werden.

Empfehlungen

  1. Die zentrale Rolle der Kommunen im Prozess der Verwaltungsdigitalisierung sollte durch das Stimmrecht für die kommunalen Vertreter im IT-Planungsrat auch formal aufgewertet werden.
  2. Die Bundesländer sollten ausführende Ländergesetze beschließen, um den Kommunen Orientierung sowie Planungs- und Rechtssicherheit zu verschaffen.
  3. Bund und Länder sollten die kommunale Umsetzung des OZG unabhängig von verfassungsjuristischen Bewertungen mit spezifischen Förderprogrammen flankieren. Dabei sollten Indikatoren angelegt werden, die die unterschiedliche Finanzausstattung, Größe und weitere individuelle Merkmale von Kommunen berücksichtigen.[1]
  4. Bund und Länder sollten den Mut zu mehr Standardisierung und konkreten Vorgaben aufbringen. Das Problem bei der Bewältigung der Verwaltungsdigitalisierung sind zu viele Unterschiede, nicht zu wenige.
  5. Bund, Länder, aber auch gemeinsame Initiativen mehrerer Kommunen sollten entweder eigene öffentliche Qualifizierungsinstitute ins Leben rufen oder diese an die Fachhochschule für öffentliche Verwaltung anbinden, um die strukturell erwartbar steigenden Fortbildungsbedarfe decken zu können. Die Erstattung der Teilnahmegebühren für erfolgreiche Schulungsabschlüsse könnte auch für das Personal finanzschwächerer Kommunen hilfreich sein.
  6. Kommunale Akteure sollten die auch durch das OZG gestiegene Dynamik im Bereich der Verwaltungsdigitalisierung als Chance für ihre Kommunen begreifen und sich aktiv darum bemühen, eine gestalterische Rolle einzunehmen.
  7. Bund und Länder sollten ein neues Budget vereinbaren oder aus dem bislang vorhandenen Budget ausgliedern, um mit diesen Mitteln Veränderungskommunikation zu betreiben und so Transparenz, Einbindung und Orientierung für kommunale Akteure erhöhen.
  8. Das Begriffsverständnis der Nutzerorientierung, mit der bislang Bürger und Unternehmen gemeint sind, sollte um die Zielgruppe des Personals kommunaler Verwaltungen erweitert werden. Bei der Prozessentwicklung sollte auch darauf geachtet werden, Entlastungsgewinne für die alltägliche Tätigkeit kommunalen Personals zu erzielen.
  9. Kommunale Akteure sollten die Herausforderung der Verwaltungsdigitalisierung als bedeutsame Chance erkennen, interkommunale Kooperationen zu entwickeln, weil die Digitalisierung alle Kommunen zur selben Zeit vor die gleiche Aufgabe stellt.
  10. Die Studienplätze für IT-Verwaltungsausbildungsgänge an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung sollten deutlich erhöht, solche Studienfächer zudem auch allgemein an Universitäten und Fachhochschulen vermehrt eingeführt werden, die Thematik des E-Governments verstärkt in den Lehrplan aufgenommen und die attraktivere Entlohnung von IT-Fachkräften thematisiert werden.

[1] In seiner Sitzung am 3. Juni 2020 hat der Koalitionsausschluss im Rahmen der Beschlüsse zur Abmilderung der ökonomischen Folgen der Corona-Pandemie u.a. entschieden, dass zusätzliche Finanzmittel in Höhe von drei Milliarden Euro für die Umsetzung des OZG bereitgestellt werden sollen (vgl. Gehrt, Guido (2020) in: „Der OZG-Wumms: Drei Milliarden mehr“, Behörden Spiegel, Bonn: https://www.behoerden-spiegel.de/2020/06/05/der-ozg-wumms-drei-milliarden-mehr/ (Letzter Zugriff: 15.07.2020)).